Über
Menschen und Viren leben in gemeinsamen Umwelten, in denen Veränderungen im Verhalten oder in der Genetik einander beeinflussen. Städtische Gebiete, als Knotenpunkte menschlicher Interaktion, sind ideale Orte, um das Zusammenspiel zwischen Menschen und Viren zu beobachten. Das Humane Papillomavirus (HPV) umfasst viele Genotypen, von denen einige krebserregend sind – jedoch durch Impfungen verhindert werden können. Seit 2023 sind HPV-Impfstoffe in Österreich flächendeckend verfügbar, weshalb ein System benötigt wird, um die Impfquote sowie Veränderungen in den HPV-Genotypen zu erfassen.
Dafür hat HPVienna eine interdisziplinäre Partnerschaft aus vier sich ergänzenden Fachrichtungen aufgebaut: Virologie zur Untersuchung des Virus, Sozialwissenschaften und Public Health zur Erforschung des menschlichen Verhaltens sowie Mathematik zur Entwicklung dynamischer Modelle, die Interaktionen beschreiben und Veränderungen im Zeitverlauf erkennen können. Ein besonderer Fokus liegt auf einer besonders vulnerablen Gruppe: Menschen ohne Krankenversicherung. Unser übergeordnetes Ziel ist es, die Verbreitung von HPV besser zu verstehen und die Krankheitslast zu reduzieren.
Wissenschaftliche Zusammenfassung
Im Jahr 2023 hat Österreich sein nationales Impfprogramm gegen das Humane Papillomavirus (HPV) ausgeweitet und sich damit der WHO-Initiative zur Eliminierung von Gebärmutterhalskrebs angeschlossen. Durch eine geschlechtsneutrale Impfstrategie wurden die gesundheitspolitischen Ziele erweitert. Dennoch stellt das Fehlen eines HPV-Überwachungssystems eine große Herausforderung dar – sowohl für die Bewertung der Impfwirkung als auch für das Verständnis der evolutionären Auswirkungen auf zirkulierende HPV-Genotypen und die grundlegenden sozialen Übertragungsmuster in dicht besiedelten urbanen Räumen.
Dieses Projekt verfolgt einen neuartigen transdisziplinären Ansatz, der sequencing-basierte genomische Epidemiologie, sozialwissenschaftliche und Public-Health-Forschung sowie agentenbasierte Modellierung integriert, um diese vielschichtigen Herausforderungen zu bewältigen. Wir werden die virale Populationsdynamik mit sozialen Dynamiken im urbanen Raum verknüpfen, Übertragungsnetzwerke sichtbar machen und so zur Prävention von HPV-assoziierten Krebserkrankungen beitragen.
In Zusammenarbeit mit der NGO und Klinik AmberMed, die Menschen ohne Krankenversicherung in Österreich unterstützt, wird die freiwillige HPV-Probenahme durch partizipative Methoden gefördert. Ergänzend dazu wird eine innovative Pipeline entwickelt, um zirkulierende HPV-Genotypen aus Abwasserproben zu erfassen. Dies ermöglicht eine Einschätzung des Risikos von Hochrisikovarianten sowie der indirekten Effekte der Impfung auf die gesamte Bevölkerung.
Alle erhobenen Erkenntnisse werden in ein Übertragungsmodell für die Wiener Gesamtbevölkerung überführt, um Interventionsszenarien zu entwickeln und evidenzbasierte gesundheitspolitische Empfehlungen sowie maßgeschneiderte Maßnahmen abzuleiten. Unser innovativer Ansatz adressiert bestehende sozioökonomische Ungleichheiten und Geschlechterdisparitäten mit einem besonderen Fokus auf Buben und Männer. Diese transdisziplinäre Strategie erweitert das OneHealth-Konzept in der Praxis und könnte als Prototyp für eine effektive Prävention und ein multi-systemisches Überwachungsmodell für Infektionskrankheiten in städtischen Umgebungen dienen.